Liam Gallagher und sein schweres Erbe

Fast so sicher wie das Amen in der Kirche ist, dass bei jedem Auftritt von Noel oder Liam Gallagher unausweichlich ein Vergleich zu Oasis stattfindet. Kein Wunder, die Band um die beiden Streithähne war in den 90er-Jahren Kult. Ihre Eskapaden füllten die Regenbogenpresse und noch heute sorgen die beiden mit ihren Wortgefechten und gegenseitigen Sticheleien dafür, dass die Glut der Fehde nicht erlischt.

Die einen sehen es als PR-Gag. Was wirklich dahinter steckt, wissen wohl nur die beiden ungleichen Brüder. Was Oasis ausmachte war der coole Frontman Liam, der die Aura eines Rock’n Roll Gottes lebte und das unglaubliche Talent Noels, gute Songs zu schreiben. Wer erinnert sich nicht an «Wonderwall», «Don’t Look Back In Anger» oder «Supersonic»? Zusammen waren die beiden wie Feuer und Wasser, ihr Rauch aus Erfolg und Drama stieg bis in den Rock Himmel. Als 2009 das endgültige Aus kam, machten Beide auf ihre Art weiter. Liam versuchte seine zerrissene Band als Beady Eye am Leben zu erhalten. Noel machte mit seinen High Flying Birds weiter und hatte beachtlichen Erfolg.

Zehn Jahre später

Wir schreiben 2020 und die beiden sind immer noch im Business. Liam Gallagher musste einsehen, dass Beady Eye nicht funktionierte und hat inzwischen zwei sehr passable Soloalben veröffentlicht. Er hat deutlich mehr Oasis im Blut, Noel hingegen hat einen Stil gefunden, der sich deutlich von Oasis unterscheidet. Bei ihren Konzertauftritten gehen die beiden anders mit ihrem Erbe um. Noel nervt es immer mal, wenn die Massen die Hits aus der Oasis Zeit mit lauten Zwischenrufen fordern. Beide bauen mindestens die Hälfte der Setlist mit Oasis Songs auf. Noel ist zwar ein guter Songschreiber, aber Liam der geborene Entertainer, der Skandale provoziert, der Rebell. Er hat den Oasis Songs seine unvergleichliche Aura verliehen.


«He’s the angriest man you’ll ever meet. He’s like a man with a fork in a world of soup.» – Noel Gallagher about his brother Liam


Sein Auftritt

Auch am Donnerstagabend drängt sich erneut die Frage auf, was Liam Gallagher als Solokünstler zu leisten vermochte. Vor ihm starteten, im noch recht leeren Konzertsaal, vier englische Jungs, die sich Twisted Wheel nennen.

Support | Twisted Wheel

Der Name wurde aus einer Songzeile von Paul Weller entlehnt, seit 2007 sind die Jungs unterwegs. Ich hätte aufgrund ihres jugendlichen Aussehens auf eine deutlich kürzere Vergangenheit gewettet. Twisted Wheel sind so etwas wie der Stammsupport, sie waren auch schon bei einem der letzten Konzerte von Oasis dabei. Entsprechend sicher wirkten sie auf der Bühne. Sie machten mit «Nomad Hat» gleich ordentlich Dampf. Gut gemachter Punk-Rock, schade dass keine rechte Stimmung aufkam. Nach sieben soliden Songs machten sie die Bühne frei für Mister Rock’n Roll. Mister Parka liess sich gleich zu Beginn von der tobenden Menge feiern und begrüsste uns mit zufriedener Mine, im Hintergrund lief ab Band «Fuckin› in the Bushes». In seinem weissen Parka sah er ein bisschen aus wie in einer Zwangsjacke. Im wuchtigen Bart wirkte er fast wie ein Alpöhi.

Liam Gallagher

Doch mit dem ersten Takt machte Liam klar, dass er hier den Rock’n Roll-Star markieren würde. An Selbstvertrauen mangelte es Liam Gallagher nicht, würde man meinen. Es war wie immer sehr laut, der Sound alles andere als ein Genuss. Aber was soll’s. Guter Rock’n Roll braucht vor allem einen coolen Frontman und den markierte Liam gekonnt. Die Hände hinten angelehnt, die Oberlippe ans Mikro gepresst, ein bisschen als könnte er fliegen. Doch so richtig zum Abheben war der Auftritt nicht. Liam ging im wuchtigen Sound ab und zu mal unter. Die Achtköpfige Band inklusive Backing Vocals war einfach zu aufdringlich.

Jay Mehler

Auf den Opener folgte ein Songblock mit seinen Solostücken aus den letzten beiden Alben: «Halo», «Shockwave», «Wall of Glass», «Why Me? Why Not» und «For What It’s Worth». Wie nicht anders zu erwarten, kannten die Fans diese Songs zu wenig, die Stimmung blieb typisch schweizerisch auf einem zurückhaltendem Niveau. Alle warteten auf die Hits von Oasis: «Morning Glory» sorgte für ein Highlight des Abends. Mit seinem typisch nasalen Gesang, der notwendigen Arroganz, gepaart mit englischen Rotz, machte Liam ordentlich Lärm und Stimmung. Zwischen twangenden E-Gitarren und sturem Schlagzeug war Liam Gallagher in seinem Element. Der nächste Höhepunkt «Live Forever» markierte auch gleich den ersten Schlusspunkt. Das Publikum, vor allem in den vorderen Rängen, sang eifrig mit. Bei den Zugaben durfte «Supersonic» nicht fehlen.   Vor «Champagne Supernova» verabschiedete sich der Rock’n Roll-Star, die Leute aber klatschten Mister Parka nochmals auf die Bühne und durften, wie es sich für ein Rock-Konzert gehört, noch «Cigarettes & Alcohol» geniessen. Nach 80 Minuten verliess Liam mit übergezogener Kapuze die Bühne.

Fans

Fazit

Die Leute schienen zufrieden, aber keineswegs euphorisch. Es war ein netter nostalgischer Abend. Liam wirkte mehr als Grossvater des Rock’n Roll, denn als wilder Rebell. Schuld daran ist meiner Meinung die zu grosse Band. Liam könnte sich ohne den ganzen Zirkus besser in Szene setzen. Schade auch, dass Liam nicht den Mut hat, seine Solokarriere mehr in den Vordergrund zu rücken. Beide Soloplatten hätten wirklich Potential für ein tolles Konzert. Auch wenn Liam nicht «der» Songschreiber ist, er ist ein ausgezeichneter Frontman. Mein Wunsch für das nächste Mal? Weg mit dem Bart, Auftritt in einer stimmungsvolleren Bude, als der Halle 622 und als Zugabe drei Songs aus der Oasis Zeit. Why Not?

SETLIST

  1. Rock’n Roll Star
  2. Halo
  3. Shockwave
  4. Wall of Glass
  5. Why Me? Why Not.
  6. For What It’s Worth
  7. Morning Glory (Oasis song)
  8. Stand by Me (Oasis song)
  9. Once
  10. The River
  11. Gas Panic! (Oasis song)
  12. Live Forever (Oasis song)
    Encore 1
  13. Acquiesce (Oasis song)
  14. Roll With It (Oasis song)
  15. Supersonic (Oasis song)
  16. Champagne Supernova (Oasis song)
    Encore 2
  17. Cigarettes & Alcohol (Oasis song)

Quelle: setlist.fm

weitere Info’s
  • Konzertbericht der NZZ