Florist – oder wie es sich anfühlt, Blumen wachsen zu hören

Wie fühlt sich Freundschaft an und kann man an ihr teilhaben, wenn man nicht dazugehört? Ist Musik dazu da, Antworten zu geben oder ist Musik noch besser, wenn sie nur Fragen aufwirft? Die ersten drei Fragen am heutigen Abend waren wesentlich rudimentärer: Wieviele Menschen würden wohl kommen und im Bogen F zuhören, wenn Florist ihre Klangwunder darbieten? Welche Art Stimmung würde entstehen?

Es kamen erfreulich Viele. Die meisten waren schon da, als Carsick Charlie (Joseph Innes) schüchtern die Bühne betrat. Doch halt! Fehlt da nicht noch eine Frage? Richtig, die dritte Frage ging unverhofft direkt an Emily Sprague und kam von Joseph: «Can we ask Emily?» Und worum ging es? Der schüchterne Joseph hatte seine Sache ordentlich gemacht. Er erhielt vom ersten Takt an die volle Aufmerksamkeit des angenehm aufmerksamen Publikums. Bis zwischen Song zwei und drei, beim Stimmen seiner Gitarre, ein leises Geräusch das jähe Ende einer Gitarrensaite besiegelte. Da stand er nun, angestarrt von geschätzten 150 Augenpaaren. Schnell mal die Saite zu ersetzen, schien keine Option. Joseph blickte sich um und sah die Gitarre von Emily. «Can we ask Emily?» – alle haben verstanden! Emily muss wohl «Ja» gesagt haben, denn kurz darauf wurde fleissig umgesteckt und Joseph stand bald mit umgeschnallter Gitarre am Mikro. Schwer zu sagen, wessen Erleichterung grösser war: Joseph’s oder die des Publikums. Carsick Charlie brauchte ein paar Strophen, bis er sich wieder ganz gefangen hatte. Nach drei weiteren  Songs bedankte er sich und erntete nochmals einen dicken Applaus und viele warmherzige Blicke.

Florist formierten sich kurz nach zehn auf der kleinen Bühne des Bogen F. Sie standen kreisförmig, einander zugewandt, während die ersten Geräusche den Song «June 9th Nighttime» ankündigten. Nach den ersten Songs wurde klar, dass Florist an diesem Abend vor allem neue Songs spielen. Klar wurde uns auch, dass auf der Bühne vier Menschen gemeinsam Musik machten, die sich wirklich gern haben. Und wir? Wir waren scheinbar unbedeutend, vernachlässigbar. Das fühlte sich überraschend gut an. Das Publikum schien keine Erwartungen an Interaktionen zu haben. Stattdessen lauschte es respektvoll. Kaum hochgestreckte Handy’s, aufmerksame Stille und leise Begeisterung machten sich breit. Wir durften erfahren, wie Freundschaft sich anfühlt. Und ja, man kann daran teilhaben, auch wenn man nicht dazugehört!

Florist hatten den passenden Text zu unserm Gefühl, wenn Emily in «Organ Drone» mit der Songzeile «That’s pretty cool, I think I’m alive» anregte, neugierig und offen zu bleiben gegenüber Neuem. Mit «Sci-fi Silence» kam der ersten stille Hit. Anschliessend lies uns Emily in «Glowing Brightly» an ihren Gefühlen für ihre verstorbene Mutter teilhaben. Ein erstaunlich fröhlicher Song, der Zuversicht und Hoffnung verströmte. Nun schien zusätzlicher Lebenssaft durch die Adern von Emily, Rick, Jonnie und Felix zu fliessen. «43», «Dandelion» und «Spring in Hours» brachten tolle Rythmuswechsel, spannende Improvisationen und viel Spielfreude in das alte Mauerwerk. Es fühlte sich an, als würden aus allen Ritzen Pflanzen spriessen. Emily suchte für einen kurzen Moment den Kontakt zu uns. Man wurde das Gefühl nicht los, dass diese magischen Momente im Bogen F nicht ewig währen würden.

Die oft von Florist besungene Dualität wurde auch in uns spürbar. Alle schönen Dinge haben irgendwann ein Ende, was ihren Glanz in keinster Weise geringer erscheinen lässt. Emilys Nachsinnen über Existenzfragen und die Magie dies in Klanglandschaften erblühen zu lassen, schien das gesamte Publikum zu ergreifen. Es sei ihr verziehen, dass sie uns die meiste Zeit ignorierte und auch nicht ganz sicher war, in welchem Land sie gerade auftrat. Viel wichtiger, «Feathers» erklärt uns: «Careful not to tread on anything needing rest». So endete dieser Abend mit dem letzten Song «Vacation». Allen war klar, dass es der Letzte sein würde. Lärm zu erzeugen um einen weiteren Song zu hören? Genauso zwecklos, wie an einer Blume zu ziehen, um sie schneller wachsen zu lassen!


Florist are:
Emily Sprague – Lead Vocals, Guitar
Rick Spataro – Bass, Keyboards, Backing Vocals
Jonnie Baker – Guitar, Keyboards, Synthesizers
Felix Walworth – Drums
Links:
NZZ Magazin - Florist: Klingende Pflänzchen


setlist.fm

    1. June 9th Nighttime
    2. Red Bird Pt. 2 (Morning)
    3. Two Ways
    4. Organ Drone
    5. Sci-fi Silence
    6. Glowing Brightly
    7. 43
    8. Dandelion
    9. Spring in Hours
    10. Feathers
    11. Vacation

 

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